Re: Was ist los in Weimar?

November 27th, 2008 § 22 comments

Der folgende Text ist die Privatmeinung des Autors und keine Stellungnahme von FEiNT.org oder anderen oder ähnlichen Organisationen.

Was geschehen ist, weiß niemand. Außer vielleicht den beteiligten Personen – so sie hierfür noch nüchtern genug waren, als es geschah. Es geschah wahrscheinlich nachts, mit großer Sicherheit in einer Kneipe. Die eine Person äußert sich nicht zum Thema und zieht es vor, anonym zu bleiben, die andere ist prinzipiell unglaubwürdig. Aber zum Glück interessiert in der darauffolgenden Debatte das Anlassgeschehen nicht mehr, weshalb ich auch nicht darauf eingehen muss.

Das Interessante an der derzeit in und um die Gerberstr. gescheiterten Debatte ist nicht ihr Inhalt, sondern die Art und Weise in der sie geführt wurde.

Auf beiden Seiten stehen junge Menschen, die sich selbst als antifaschistisch, mindestens kapitalismuskritisch sicherlich aber als emanzipatorisch bezeichnen. Letzteres ist das Adjektiv an dem ich mich hier aufhängen möchte.

Ein kleiner Blick in die allwissende Müllhalde verrät uns, dass das "Ziel emanzipatorischen Bestrebens […] ein Zugewinn an Freiheit oder Gleichheit" sein sollte.

So weit so Vorgeplänkel.

Die Lektüre der heute bzw. gestern die gescheiterte Debatte in's Internet tragenden Texte hat bei mir nicht nur einen gesteigerten Blutdruck, schlechten Geschmack im Mund und ein übertriebenes Rauschbedürfnis hinterlassen. Sie hat auch alte Fragen neu aufgeworfen. Ich versuche hiermit eine linke, emanzipatorische, historisch informierte, Antwort auf diesen Text zu finden.

Zu erst stolpere ich über eineN alteN BekannteN: Das "Prinzip der Definitionsmacht", nach dem hier selbsterklärt gehandelt worden zu sein scheint.

Aufs Jahr genau zehn Jahre nachdem ich erstmals in selbsternannt emanzipatorischen Zusammenhängen mit diesem Begriff konfrontiert wurde, sind mir die emanzipatorischen Aspekte des “Prinzips der Definitonsmacht” noch immer unklar. Wenn ich das richtig verstanden habe versteht mensch unter dem “Prinzip der Definitionsmacht”: JedeR kann anonym gegen jedeN Anschuldigungen erheben und die Bezugsgruppe aus der das AnschuldigerIn und das Beschuldigte stammen sanktioniert das BeschuldigteN. Ohne ihn zuvor anzuhören, denn der Vorfall der zur Anschuldigung geführt hat war für das AnschuldigendE schon schlimm genug.

Das Argument, dass das “Prinzip der Definitionsmacht” nur auf Vergewaltigungen und/oder sexuelle Übergriffe zutrifft wird von eben diesem selbst ausgehebelt. Denn wenn das selbstbezeichnete Opfer definieren kann, wie es zum Opfer wurde, kann jede Handlung als eine solche definiert werden. Ganz einfach gabz logisch.

Das ist ein Trick, den wir derzeit tagtäglich im Zentralrat der Emanzipation erleben auf der verzweifelten Jagd des Ministers zur Emanzipationssicherung nach Staatsvergewaltigern. Die Frage wie uns ein Rechtsverständnis, das zwischen dem Ende der spanischen Inquisition und dem 11. September 2001 glücklicherweise im Urlaub war, emanzipiert, ist mir immer noch unklar. Aber vielleicht muss ich mir auch einfach Tomás de Torquemada als Emanzipator vorstellen.

Ebenso wirft der hier behandelte Text die immer wieder in linken Zusammenhängen aktuelle Frage der Demokratie und/oder Avantgarde auf. Nein, ich weiche hier nicht vom Thema ab: Der Satz “Schnell wurde auch deutlich, dass die zweite Gruppe der ersten Gruppe auf dem Plenum zahlenmäßig überlegen war […].” scheint mir als radikalem Demokraten weniger Skandalon als normaler Teil der politischen Auseinandersetzung.

Soll heißen: Da hat sich eine Mehrheit gebildet, die VertreterInnen des “Prinzips der Definitionsmacht” waren das nicht. Dann kann da noch ein bisschen gestritten werden, dann wird abgestimmt und dann ist die Katze wieder im Sack. Wenn der Schuh trotzdem noch drückt kann’s auf’m nächsten Plenum nochmals auf die Tagesordnung geholt werden. Wenn da die FreundInnen des “Prinzips der Definitionsmacht” auch wieder keine Mehrheit haben ist der Kuchen gegessen. Nächstes Jahr vielleicht wieder? Ist scheiße, funktioniert aber auf Dauer überraschend gut.

Oder: Es wird, wie implizit und wiederholt getan der Standpunkt bezogen, dass das “Prinzip der Definitionsmacht” so wichtig ist, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Menschen, die dieses “Prinzip der Definitionsmacht” nicht anerkennen, unmöglich ist. Das "Prinzip der Definitionsmacht" scheint so wahr, dass es zwingend und ohne Berücksichtigung anderer Meinungen durchgesetzt werden muss. Diese Arbeitsweise wird in linken Zusammenhängen spätestens seit Lenin Avantgarde genannt. Das hat zu so emanzipatorischen Schritten wie den Revolutionen in Russland, China und Cuba geführt. Aber auch zu so emanzipatorischen Politikern wie Stalin, Mao und Pol Pot.Ich will hier nicht in die Politik anderer reinreden – Ich habe auch täglich das Bedürfnis avantgardistisch zu handeln. Meist tue ich es nicht weil mir demokratische Prozesse der sicherere Weg in eine bessere Welt scheinen. Zumindest habe ich schon oft über den Missbrauch des Avantgarde-Ansatzes gelesen – Trotzkis Angriff auf Kronstadt, Wilfried Böse in Entebbe, George W. Bushs Befreiung der afghanischen Frauen. Von Demokratiemissbrauch hab' ich bisher noch nichts gelesen.

Zum Schluss wollte ich auf die grammatikalische Perle reagieren, dass Menschen: "das Recht auf Selbstorganisation und Beschlussfähigkeit abgesprochen" wurde.

Nein! Das ist nicht passiert.

Einigen ist aus nicht-inhaltlichen Gründen der Zutritt zu Räumen versagt worden.

Nicht von einem abstrakten Vorstand, sondern von einem Plenum an dem die Betroffenen freiwillig nicht mehr teilgenommen haben.Ohne den Klassiker zu bemühen, dass Menschen die an Wahlen nicht teilnehmen sich auch über die Ergebnisse nicht beschweren dürfen (Wahlen brauchen Avantgardisten ja nicht, sie haben ja dank des “Prinzips der Definitionsmacht” immer Recht und die Mehrheit).

“Das Recht auf Selbstorganisation” nenne ich hiermit ein abstraktes Recht. Das haben sie – wie alle anderen abstrakten Rechte – immer noch. Sie würden ja auch nicht behaupten, dieses “Recht” verloren zu haben, wenn die Gerberstr. abgebrannt wäre. Was ihnen abgesprochen wurde war das konkrete Recht dieses weiterhin in Räumen zu tun, die ihnen nicht gehören und für die sie keine Verantwortung tragen.

Sie können sich immernoch jederzeit und überall und selbst organisieren; z.B. in anderen Räumen die ihnen nicht gehören und für die sie keine Verantwortung tragen: der Bierkirche in der Richard-Wagner-Str., der Pestalozzi-Grundschule in der Shakespeare-Str. oder wenn das Wetter wieder besser wird im Park.

Und Beschlussfähigkeit ist kein Recht sondern ein formeller Zustand in demokratisch verfassten Systemen. Den können sie jederzeit wieder erlangen. Z.B. wenn sie bereit sein werden zum Erhalt des Größeren und Erreichen des Besseren Niederlagen hinzunehmen. Auch wenn’s wider das “Prinzip der Definitionsmacht” geht.

Das nenne ich übrigens "Prinzip der Vernunftmacht".

Wem's zu lang und/oder kompliziert war: Hört auf Crack zu rauchen und fangt an zu denken, bevor ihr Euch als links bezeichnet. Ihr seid nicht links, ihr seid reaktionär.

Tagged , , ,

§ 22 Responses to Re: Was ist los in Weimar?"

  • Ed sagt:

    Ich geh mal davon aus, Phlo ist noch nüchtern genug um als zurechnungsfähig zu gelten, dass er diesen beitrag geschrieben hat :)

  • Elder sagt:

    Einer der Pamphlete der Weimarer Antifa, "Chronologie der Ereignisse" oder so ähnlich, ist nach Sprachduktus und Inhalt eindeutig Manuela Fett zuzuordnen. Er endet mit folgenden Worten:

    "Mit dieser Veröffentlichung der Abläufe einer unsäglichen Verkehrung (Betroffene müssen gehen), erhoffen wir uns Solidarität aus anderen Zusammenhängen und hoffen, dass auf diejenigen, die sich hinter den Täter gestellt haben, ein ÖFFENTLICHER DRUCK ausgeübt wird. Diese Zustände sind nicht hinzunehmen.

    Für die Definitionsmacht kämpfen!"

    Das heißt kurz zusammengefaßt: Weiter Hexjagd gegen einen vermeintlichen Täter und möglichst viel Pogrom auch gegen dessen "Unterstützer". Schlagt sie, wo ihr sie trefft! Und: der Aufruf am Ende zeigt, worum es geht. Nicht um das Schicksal der Betroffenen, sondern um die Durchsetzung eines bestimmten Prinzips als Machtergreifungsstrategie: "Sie erkennen die Definitionsmacht nicht an, also gehört uns allein die Gerber 1. Auch wenn wir zu blöd sind, das Klo zu reparieren."

    Manuela, Pierre und Walter: Ihr seid nicht besser als unsere Großväter. Ihr seid auch nicht Avantgarde, Ihr seid nur noch inhaltsleer, totalitär und faschistoid. Für Faschos sollte in der Antifa-Szene kein Platz sein.

  • phaidros sagt:

    ich denke schon, ed :)

    phlo, respekt fuer eine sachliche aufsortierung von falschheiten in den kommentierten texten/stellungnahmen. wuenschenswert waere eine reflektion deines dargestellten durch die urspruenglichen verfasser.

  • puck.152 sagt:

    Ah, wie schön, dass mensch sich immer noch über diesen alten Zopf in die Haare bekommen kann. Habt Ihr das nicht langsam satt?
    Übrigens gibt es meiner Erkenntnis nach ein "Prinzip der Definitionsmacht". Ganz nüchtern betrachtet besagt dieses, dass festgelegt ist, wer, unter welchen Umständen, die Macht hat was zu definieren. Insbesondere bei Tatbeständen, die erhebliche Folgen, damit meine ich auch und insbesondere soziale Folgen innerhalb einer Gruppe, nach sich ziehen ist das die Mehrheit oder deren gewählte Vertreter; zumindest solange man sich den Anschein einer demokratischen Legitimation geben will.
    Deshalb haben sich ein paar, von einer knappen Mehrheit der Bevölkerung dieses Staatsgebildes gewählten, Vertreter hingesetzt und einen - hier anscheinend als unzureichend betrachteten - Tatbestand formuliert. Nur haben die dabei auf ein paar grundliegende Rechte des vermeintlichen Bösewicht geachtet.

    Nur so am Rande vermisse ich den Satz mit der Aneignung von Körpern, den fand ich immer so unterhaltsam.

  • ΦLo sagt:

    @ Ed: Ich konnte noch sitzen also kann ich auch für meine Handlungen verantwortlich gemacht werden.

    @ Elder: Du solltest doch als alter Antifaschist wissen, dass mensch in der Öffentlichkeit – auch das Internet ist Öffentlichkeit – keine Namen nennt. Auch wenn's die Namen von reaktionären GuantanamobefürworterInnen sind.

    @ Phaidros: Machen die das bevor oder nachdem sie ihre antideutschen Fehler in der Israelpolitik besprechen? ;-)

    @ Puck: War das jetzt das Jagd- oder das Fundrecht? ;-)
    Wie gut, dass cih nicht der rationalste Teilnehmer der Diskussion bin.

  • Elder sagt:

    @ phlo:

    Du hast natürlich recht. Ihr könnt die Namen rausnehmen. Ich bitte um Nachsicht.

  • VolleSöhne sagt:

    Tim, du Arsch. War ja klar, dass du aus dem Häuschen bist, wenn du diesen Text liest - aber nur Grundgesetz und Wikipedia als Quellen benutzen - ist da nicht mehr drin?

  • katta. sagt:

    ich glaube kaum, dass es hilfreich ist, wenn auch in kommentaren, wild mit nazivergleichen um sich zu hauen. das ist geschichtsrevisionistisch und ekelhaft.

  • ΦLo sagt:

    @ Elder: Kann's leider g'rad nicht ändern. Bleibt dann wohl so steh'n.

    @ VolleSöhne: Ich hab' keine Ahnung was Du arbeitstechnisch sicherheitsbetreuender Personaldienstleister (Deine E-Mail ist doch asd@asd.de) zum Frühstück geraucht hast aber ein Tim hat sich an der Debatte in und um diesen Blog noch nicht beteiligt. Der einzige Tim, den's hier gibt schreibt unter dem Pseudonym sysTim ... und wenn Du mir den Link in GG zeigst gibt's Bier. Bürgerkind!

  • ΦLo sagt:

    @ VolleSöhne: Wollte ja eigentlich Marx zitieren. Hättest Du aber erst recht nicht kapiert.

    Ich glaub' ich krieg' hier schon wieder ungesunden Blutdruck.

  • katta. sagt:

    ungesunder blutdruck? hinsetzen, biertrinken, rauchen. sinnlose debatten seinlassen. dass männer aber auch nie was stehen lassen können.

  • puck.152 sagt:

    Persönlich find ich's ja nett mal wieder für einen Lieblingsmandanten gehalten zu werden. Übrigens @ VolleSöhne, wenn Du die Rechnung übernimmst, knall ich Euch hier voll mit "besseren" Zitaten aus den entsprechenden Datenbanken.

  • ... sagt:

    Ich dachte die Faschismuskeule schwingt nur die CDU, wenn es um die Wahrung ihrer Totalitarismustheorie geht. Offensichtlich haben das aber auch linke Menschen notwendig, wenn sie nicht mehr in der Lage sind sachlich zu argumentieren. Shame on you!

    Über Inquisition braucht ihr euch nicht aufzuregen, wenn ihr fordert, dass die Betroffenen sich eurem erniedrigendem Gelaber unterziehen sollten.

  • Definitionsmacht sagt:

    Wieso wurde die Definitionsmacht als notwendig erachtet in linken Kreisen? Vielleicht weil im Patriachat den Frauen niemand Glauben schenkt?

    Ich möchte dir vorschlagen, dich darüber zu informieren. In deinem Text kann ich dazu nichts finden.

  • ΦLo sagt:

    @ ...: Hey! Als Christdemokrat bin ich in meinem Leben noch nicht bezeichnet worden :-)
    Und ich hab' nicht Faschist sondern Stalinist geschrieben. Ist ein wichtiger Unterschied. Stalinismus ist nämlich romantisch, wie wir von Onkel Salvoj gelernt haben.

    @ Definitionsmacht: Und Du bist auch dem Opiumtraum aufgesessen, dass im Matriarchat alles besser wird. Ich glaub' ich hab' mich mehr als ausreichend mit dem Thema auseinandergesetzt. Und wiederholt versucht diesen massiv totalitären Ansatz zu Gunsten des "schwachen" Geschlechts in einen linken Kontext zu bringen. Klappt nicht.
    Um genau zu sein: Ihr seid die SexistInnen. Das Frauenbild, dass von Euch DefinitionsmachtbefürworterInnen impliziert wird hat überraschende Ähnlichkeiten mit dem "Frauenschutz" der Taliban. Kopf aus'm Suppentopf und Realität checken!

  • katta sagt:

    du meinst slavoj... slavoj!!!

  • Definitionsmacht sagt:

    In meinem Kommentar stand nichts von dem Wunsch nach einem Matriachat.

    Suppentopf? Falls du annimmst, dass ich eine Frau bin, solltest du über deine sexistischen Bilder im Kopf nachdenken. Das wäre ein Anfang, dann könnstest du vielleicht irendwann erahnen, wieso es die Definitionsmacht gibt.

  • ΦLo sagt:

    @ Definitionsmacht: Ich hatte Dir bereits geschrieben, dass Du das SexistIn bist oder? ALso ich mein, das Du Dich allein wegen meiner Verwendung des Wortes Suppentopf für ein Frau gehalten fühlst ... muss ich da noch was schreiben? Das ist doch schon therapiebedürftig.

  • ich sagt:

    also so wie ich das sehe hat jeder von euch sie nich mehr alle!!!
    die einen bezeichnen die anderen als faschisten... die sie wiederum als sexisten... dann wieder stalinisten...
    ey ma ernsthaft das is doch kindergarten mäßig!!!
    ihr lauft wirklich nich mehr ganz sauber

    ich seh das alles als riesengroßes missverständnis un jetz is keiner mehr bereit mit dem anderen wirkliche kompromisse einzugehn weil sich alle misstrauen... un das kann ja nich sinn der sache in EINEM projekt sein!!!

    denkt ma genau drüber nach

  • a sagt:

    An eurer Stelle würde ich die Klarnamen sofort von der Seite nehmen. Sonst könnte es passieren das eure hübsche Seite plötzlich verschollen ist...

  • ich sagt:

    finds schade das mein Kommentar von gestern nicht veröffentlich wurde dachte jeder könnte hier seine meinung kund tun

  • ΦLo sagt:

    @ a: Knock yourself out! Den Trick will ich sehen. Soll ich meinem Rechtsbeistand oder dem Serveradministrator bescheid sagen, dass es demnächst was zu lachen gibt?

    @ ich: Dein erster Kommentar ist ein schönes Schlusswort für die leidige Debatte ... und für die späte Freischaltung: Wenn Du diesen Blog weiterglesen hast, musste ich mir gestern Nacht einen anstrengenden Tag von der Seele spülen und komm' gerade erst online.

    @ Alle: Die Kommentare zu diesem Artikel sind jetzt zu. Die Karawane ist weitergezogen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

What's this?

You are currently reading Re: Was ist los in Weimar? at maschinenraum.

meta